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Tuesday, February 23, 2010

Die Nacht vor Paris

Von der Exilliteratur zur Wehrmachtsliteratur könnte man den Schritt von Mehrings Paris in Brand zu Wilhelm Ehmers Die Nacht in Paris bezeichnen. Ich hatte ein dünnes Büchleich als Intermezzo vor meinem Gang in eine französische Bücherei lesen wollen und war in meinem Bücherregal auf dieses ältlich aussehende 160 Seiten starke Buch gestoßen. Ursprünglich kam es aus dem Regal meines - verstorbenen - Großvaters, welcher es laut Widmung 1943 "auf der Fahrt nach Rußland" mit sich führte. Soweit so gut, so abstoßend, so faszinierend.

Ich las das propagandistische Machwerk - angeblich durch den Wehrmachtsbuchhandel verbreitet - innerhalb weniger Stunden an zwei aufeinanderfolgenden Abende. Das Buch als solches (und sein Autor) verdient kaum besonderer Aufmerksamkeit, es ist nicht schlecht geschrieben (wenn auch wiederum nicht gut), die Narration enthält wenige Spannungselemente und erreicht es nicht den (in meinem Fall zugegebenermaßen skeptischen) Leser zu binden. Schließlich erscheint der Autor stilistisch auf zeitlich ihm vorausgehende Epochen zurückzugreifen, es gibt keinen inneren Monolog, keinerlei Abfall vom traditionellen Erzählaufbau des Romans des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Diesen stilistische Schritt zurück in die Vergangenheit nahm ich als Rückzug auf einen reineren, ursprünglicheren, deutscheren Stil wahr, welcher mit der Naziideologie wohl besser vereinbar war und im Gegensatz zu ausländischer, jüdischer, zersetzender, entarteter Kunst steht.

Ehmer ist mit heutigen Populärautoren vergleichbar in dem Sinne, als daß ihm jedwede Subtilität abgeht. Etwaige angedeutete Gedanken oder Überzeugungen sind von der Eleganz und des unaufdringlichen Wirkens eines Holzhammers. Als solches wäre dies nun nicht unbedingt zu kritisieren - ich fand Dan Brown zum Beispiel amüsant, es muß halt auch Strandliteratur geben - Die Nacht vor Paris stößt eher wegen des Inhaltes der vorgetragenen Ideen und Überzeugungen ab, als wegen ihrer Form oder mangelnder Subtilität.

Ein kleiner Parcours:
  • Die (einzige) menschelnde Figur des Buches, Leutnant von Dönitz, muß beim Anblick einer französischen Gräfin aufgrund ihrer übertriebenen Aufmachung natürlich an die "weibischen Erscheinungen seiner pommerischen Heimat lebhaft und erfreulich" denken. Das Thema französischer Dekadenz ist gesetzt.

  • Der (im gesamten Werk glaube ich namenslos bleibende) General ist "das ewige Abbild kampfentschlossener Mannhaftigkeit" im Gegensatz zum verweichlichten, ja verweiblichten französischen Verteidigungsversuch.

  • Ein freundlicher Hund ist symptomatisch für den Zustand der französischen Rasse, "gut durchgezüchtet [...] [hat] aber keine Entschlußkraft mehr."

  • Der Eroberungsfeldzug Frankreichs wird entweder als gottgegeben oder als Frankreichs Schuld dargestellt.

  • Der wichtigste Strang des Romans ist der Versuch der deutschen Offiziere Paris vor Schaden zu bewahren. Dieser wäre nur des Unvermögens oder der Böswilligkeit der Franzosen zuzuschreiben, sein Vermeiden hingegen beweist die Größe des deutschen Volkes. "Wenn man das Kunstwerk geschont hatte, so, um der eigenen Gesittung willen, die sich vor dem Unvergänglichen beugte und sich dadurch seiner würdig bewies."

  • "Die Feldküche an der ich [...] vorbeikam, roch wie immer sehr appetitlich." Irrelevant als Aussage, aber den Propaganda- und Werbecharakter des Buches sehr schön veranschaulichend. Oder kann sich irgendjemand ein solches Zitat aus dem Munde eines Frontsoldaten (egal welcher Armee und Epoche) vorstellen?

  • "Neger" sind sogar zu dumm um zu begreifen, was ein Unterhändler ist, und daß auf ihn nicht geschossen werden darf.

  • Die Niederlage Frankreichs wird als "erbarmungslose Folgerichtigkeit" der Tatsache, daß es "nicht mehr 'werden' wollte, sondern nur noch 'sein'" Deutschland ist ist nichts als das Werkzeug des Schicksals.

  • Zum Abschluß versteht die uns bereits bekannte Gräfin zumindest, daß Frankreich "auf der falschen Seite gekämpft habe" hofft und vertraut aber immerhin darauf, daß "die Jugend sich verstehen wird." Frankreich wird also sein Platz im neugeordneten Europe eingeräumt.

  • Sowohl die tapferen, aufopferungsvollen deutschen Soldaten als auch ihre erhabenen Generäle entsprechen absoluten Idealvorstellungen in Ehmers Text. Sie bleiben außerdem vollkommen farblos, ich vermute dies liegt daran, daß sie einen möglichst großen Modellcharakter entwickeln sollten.

Wilhelm Ehmer also als Wehrmachtsbarde. Ihm zugute zu halten bleibt, daß er die NSDAP und ihre Führer nicht einmal erwähnt. Es gibt nur eine Referenz auf eine "junge, erneuerte Kraft," welche sich ihre Zukunft sicher wolle. Ehmer scheint positiv betrachtet weniger ein Nazi als ein rückgratloser, feiger Opportunist und Nationalist gewesen zu sein. Ich tue mir mit diesem Urteil zwar schwer, da es als Nachgeborener einfach ist diese Art von Kritik zu üben, an der (in meinen Augen) Richtigkeit dieser These ändern diese Skrupel aber wenig. Dies vor allem, als daß Ehmer weitere Machtwerke unter Obhut der Wehrmacht verfaßte. So, Der Bombenkrieg der Briten. Amtliche Feststellungen zur Schuldfrage. oder Die Kraft der Seele. Gedanken eines Deutschen im Kriege. Endgültig zu klären scheint diese Frag ob Opportunismus oder Überzeugung, ob Feigheit oder Schlimmeres durch einen auf französisch verfassten Aufsatz:
"Celui-ci [Ehmers] s'adresse à son public vêtu de l'uniforme de la Wehrmacht et considère comme 'un imperatif suprême' que les écrivains, au même titre que les soldats, "défendent la volonté de vivre d'un peuple contre toutes les menaces et tiennent bon malgré tous les revers. Son discours Schöpferische Wirkungen des Krieges parut plus tard."
"Dieser [Ehmer] adressiert sich an sein Publikum eine Wehrmachtsuniform tragend und betrachtet als "übergeordnetes Gebot," daß Schriftsteller, genauso wie Soldaten, den Willen zu leben eines Volkes gegen jeder Gefahr verteidigen und standhaft bleiben gegen jeden Rückschlag. Wenig später erschien seine Rede Schöpferische Wirkungen des Krieges."
Gerade Ehmers journalistische und publizistische Tätigkeit bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges (ab 1949 bei den Lüdenscheider Nachrichten) erscheinen aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar und können wohl kaum andersartig als ein Beispiel für die mangelnde Aufbereitung des Dritten Reiches in Nachkriegsdeutschland bezeichnet werden und sich selbst heute noch in einem furchtbar unkritischen Wikipediaeintrag niederschlägt (den ich wohl am Wochenende mal angehen werde). Seine (Mit-?)Gründung eines Kuratoriums Unteilbares Deutschland 1954 deutet für mich auf eine Kontinuität auch seines nationalistischen Denkens hin. Ich gebe gerne zu, daß diese Annahme wohl eher in den Bereich der Spekulation gehört.

Was bleibt? Die Überzeugung, daß Mitläufer, Schreibtischprovokateure und Opportunisten wie Ehmer nach dem Krieg härter hätten abgeurteilt werden müssen und natürlich (glücklicherweise) die Armseligkeit und das letztliche Scheitern ihrer Überzeugungen.

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