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Monday, June 30, 2008

Jubelpatriotismus

Ach bin ich froh, daß die Deutschen gestern verloren haben, diesen Partypatrotismus, der sich in Deutschlandfarben auf der Wange und hawaiianisch anmutenden Girlanden in der gleichen Farbkombination niederschlägt, finde ich einfach nur furchtbar. Da setzen sich in eine Bar (oder auf stehen auf einer Fanmeile, einem Public Viewing Event (whatever the fuck that is supposed to mean, about as intelligent as Handy)) eine Gruppe von Leuten, die sich nicht für Fußball interessieren, keine Ahnung haben mit welchem Verein Michael Ballack zum ersten Mal Deutscher Meister wurde (um nur ein relativ simples Beispiel zu nehmen), stehen zusammen, stöhnen zusammen, schreien zusammen, jubeln zusammen, brüllen zusammen. Das Gehirn schaltet sich ab (Alkoholkonsum ist hierbei natürlich hilfreich, aber eine alkohollose Grundsubstanz ist leider meistens gegeben), jede negative Entscheidung des Schiedsrichters ist grundsätzlich falsch, jede vergurkte Defensivaktion ein Riesenapplaus wert, jeder schöne Übersteiger des Gegners wird kommentarlos übergangen.

Ich habe ja schon prinzipiell eine Abneigung gegenüber jeglichen Ausdruck von Massenekstase, dem überbordenden Ausdruck von Gefühlen in Gruppen, aber gerade in Bezug auf die deutsche Fußballnationalmannschaft kann ich diese nicht nur nicht teilen, sondern finde sie sogar abstoßend. Habt Ihr denn nichts aus der Geschichte gelernt? Seid Ihr Euch denn nicht darüber im Klaren, daß das schöne, das lobenswerte, was sich andere Länder ruhig abschauen könnten, eben dieser mangelnde Patriotismus ist, diese leidvolle Lehre der Vergangenheit, daß jede Form von Patriotismus eine Art von Nationalismus und damit eine Ausgrenzung der (oder des) Anderen ist? Nein, ich stehe hier nicht mit dem Moralhammer und sage: "Ihr Deutschen dürft nicht, weil Ihr den Holocaust verursacht habt." Aber warum muß man dies tun? Die anderen doch auch sagt Ihr. Natürlich, aber macht es das besser?

Das, was ich aus der Geschichte gelernt habe ist eindeutig, ich brauche keine Identifikation mit einem Staat, mit einer Nationalität, ich will sie auch gar nicht erst. Ich bin zuallerst ein Individum, ich denke, ich entscheide für mich selber und renne nicht blind wie ein Huhn vom Sommer- zu Winter- und wieder zurück zu Sommermärchen. Meine deutsche Kultur prägt mich, klar, aber gerade deswegen will ich ja dieses Nationalitätsgefühl nicht haben. Schließlich stellt sich die Frage, welcher Natur diese deutsche Kultur ist, Goethe, Schiller, wer hat die schon gelesen in meiner Generation? Was verbindet mich mehr mit einem Stoiber, als mit französischen Freunden von mir, welche ähnliche kulturellen oder sozio-ökonomischen Interessen besitzen?

Jedwede Selbstidentifikation ist nichts anderes als eine Exklusion der anderen. Das will ich nicht. Ich will keine Trennlinie zwischen mir und einem Polen, zwischen mir und einem Österreicher ziehen. Das ist (oder soll ich sagen war?) das schöne, das bestaunenswerte am Deutschland der Nachkriegsjahre (wohl erst ab 68, aber das ist ein anderes Thema), es brauchte diesen dumpfen (und niederen Gefühle weckenden) Patriotismus nicht. darauf bin ich stolz nicht auf eine Rumpeltruppe die glücklich gegen die Türkei gewinnt um im Finale unterzugehen.

Packt Eure Flaggen weg, fangt an zu philosophieren!

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