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Saturday, January 05, 2008

Germany: Jekyll & Hyde

Wieder einmal Sebastian Haffner, ich weiß. Was soll ich machen? Hatte das Buch auf meiner Leselisten und dann mitgebracht bekommen. Germany: Jekyll & Hyde. 1939 - Deutschland von innen betrachtet. Auf Deutsch geschrieben, ins Englische übersetzt, in Großbritannien veröffentlicht, jetzt wieder ins Deutsche zurückübersetzt, weil das Original verloren ging.

Leider hat mir dieses Buch nicht so gut gefallen wie viele der Bücher von Haffner die ich vorher gelesen hatte (1, 2). Warum? Ich weiß es nicht so genau. Sein Schreibstil schien weniger flüssig und fesselnd, was aber wohl entweder an der doppelten Übersetzung oder den besonderen Umständen (als Emigrant in England, mit schwangerer Freundin, keinem Job und von der Schutzhaft bedroht) liegen könnte. Gerade diese Umstände, immerhin erdreistet sich ein Deutscher hier den Briten zu erklären wie sie den Krieg gegen Deutschland zu führen zu haben, sollten nicht unterschätzt werden.

Haffner beschreibt verschiedene Gruppen, welche zum Verständnis Nazideutschlands bekannt sein sollten: Hitler, die Nazis (von Göring bis zu den Blockwarten), die loyalen Deutschen (die stille, willig gehorchende Mehrheit), die illoyalen Deutschen (die stille, unwillig gehorchende Minderheit, welche das Ziel der englischen Propaganda sein sollte), die Opposition (KPD, SPD...er beschreibt sie als desaströs und hat damit wohl recht) und letzten Endes die Emigranten (welche er wohl als zu relevant bewertet auch weil er natürlich Teil derselben ist und deswegen nicht gerade objektiv in Bezug auf dieselben).

Das Problem des Buches ist zweigeteilt. Erstens, sind einige der Dikussionen einfach nicht mehr zeitgemäß. So braucht heute keinem mehr erklärt zu werden wie verbrecherisch die Nazis wirklich waren. Zweitens, versucht Haffner der englischen Politik Vorschläge zu machen, wie der Krieg zu führen sei. Diese sind aus der heutigen Perspektive gelesen einfach nicht mehr so relevant. Ein Kompromissfrieden mit Göring als Reichskanzler mag damals eine Möglichkeit gewesen sein, heutzutage ist die Diskussion darüber eher müßig.

Interessant ist sein Konzept einer Kontinuität von Friedrich dem Großen und seinem expansiven Preußen über das Deutsche Reich zum Dritten Reich ("es sind nur Nuancen, die das Dritte Reich und das Deutsche Reich voneinander unterscheiden"). Auch wenn gerade durch den Holocaust stark relativiert (der Vergleich) eine faszinierende Idee. Sein Lösungsvorschlag für nach dem krieg ist außerdem eine Art Europa der Regionen, mit Deutschland zurückfallend in seine Kleinstaaterei, aber wirtschaftlich und politisch eingebunden in ein größeres Europa.

Fast schon prophetisch ist seine Prognose über Hitler: "Er besitzt genau den Mut und die Feigheit für einen Selbstmord."

Abschließend läßt sich im Allgemeinen sagen, daß ich seiner Konzentration auf Personnen zum Nachteil von Strukturen und wirtschaftlichen und politischen Umständen nicht immer zustimme. "Wer vermag, ohne die Augen vor der Hauptursache zu verschließen, auch um eine der großen welterschütternden Krisen unseres Jahrhunderts zu erklären?" Auf den ersten Weltkrieg mag dies zustimmen, auf den zweiten? Wäre Hitler ohne die Weltwirtschaftskrise überhaupt je an die Macht gekommen? In der gleichen Stoßrichtung versucht Haffner Hitlers Politik nur als Resultat seiner eigenen Lebenserfahrungen zu verkaufen. Wie gesagt, ich finde diese Erklärungsansätze zu persönlich.

Was ich sehr begrüße ist seine kritische Begutachtung des Patriotismus, welchen ich ja eigentlich nur belustigend oder sogar abstoßend finde (jeweils auf meine Stimmung und die andere Person darauf ankommend): "Es ist normal ... die eigene Heimat und die eigenen Landsleute zu lieben [wo ich nur begrenzt zustimme, aber das ist ein ganz anderes Thema, was ich heute eher nicht anschneide]...aber je mehr im sillen, um so besser." Schreibts Euch hinter die Ohren, Ihr Flaggenschwenker der Welt.

Also, lesen oder nicht lesen? Ich würde sagen ja, aber nur für Haffnerfans und -kenner und garantiert nicht als erstes Buch.

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