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Monday, October 02, 2006

Überlegungen eines Wechselwählers

Habe in meinem Leben bisher sechs mal gewählt (2x Bundestag, 2x in Berlin, 2x in Europa) und muß ganz ehrlich eingestehen, daß ich mich der Sebastian Haffners Maxime nicht im entferntesten angenähert habe, Überlegungen eines Wechselwählers wäre für den Blog dieses Wählers auf jeden Fall der falsche Titel. Aber, den es gibt immer ein 'aber', das ist das schöne am Leben, nichtsdestrotz hat Haffner - und dies auch obwohl sein Büchlein (gerade mal 140 Seiten mit einem ellenlangen Vorwort, welches ich übersprang) zu einem sehr konkreten Anlass (der Bundestagswahl 1980) geschrieben wurde - wieder einmal ein politisches Denkmeisterwerk geschaffen. Er gehörte ohne Frage zu den in meinen Augen besten politischen deutschen Schreiberlingen. Dies gilt auch wenn ich in dem konkreten Fall dieses Buches fast kontinuerlich nicht seiner Meinung war, er reizt zum Denken, ja zum Philosophieren über die Demokratie an und ich bezweifle, daß es bessere Komplimente für einen Autor gibt, als daß er einen zum Reflektieren über sein Werk - oder besser dessen Thema - bringt.

Haffner gibt einen historischen Aufriß der Demokratie in Deutschland, geht kurz auf ihr Scheitern vor 1933 ein, um dann die bisherige Geschichte der BRD zusammenzufassen. All dies stark verkürzt auf Parteien bezogen. So spannend er dieses Thema auch darstellt, viele seiner Schlußfolgerungen kann ich nicht mittragen, bzw wirken heute aus der verklärenden Perspektive der Zukunft naiv.

So erklärt er den Zweiparteienstaat für das Nonplusultra der Demokratie. Ich würde wagen dies zu bezweifeln. Haffner offensichtlicherweise kommt aus einer Denkschule, die durch die Zersplitterung des Parteiensystems zwischen den beiden Weltkriegen geprägt war. Aus diesem Grund tendiert diese Generation dazu zwei stabile Monolithen, welche jeweils die alleinige Regierung stellen, gegenüber sich ständig verändernden Mehrheiten mehrerer Koalitonäre vorzuziehen. Persönlich kann ich dem nur aus zwei Gründen widersprechen.

Erstens, die Angst, daß instabile politische Mehrheiten die Demokratie in Deutschland zerstören würden, erscheint aus heutiger Sicht unverhältnismäßig. Ich würde behaupten, daß die Demokratie in der BRD - wenn man von einigen sehr suspekten Gebieten der ehemaligen DDR absieht - gefestigt genug ist, als daß sie einige Turbulenzen aushalten würde. Dem wichtigsten Grund für ein Zweiparteiensystem zu plädieren wird hiermit also die Grundlage entzogen.

Zweitens sehe ich die Gefahr einer Nivellierung der Parteien in einem Zweiparteiensystem. Ein Blick in die USA zeigt wie gering die Unterschiede zwischen den beiden dortigen konkurrierenden Parteien wirklich sind. Parteien sind dort nicht viel mehr als Vehikel um Kandidaten Ämter zu verschaffen und diese - Individuen - prägen das Bild ihrer Partei und die Partei derselben mehr als alles andere. Die Gefahr hierbei erscheint offensichtlich, es gibt keine wirklichen konkurrierenden Modelle mehr, sondern nur eine Annäherung an den Mittelwähler. Da alle rechts (oder links) der eigenen Position sowieso für die - relativ - näher positionierte Partei stimmen, findet der eigentlich Wettkampf in der Mitte statt, alle Programme, alle Ideen werden auf diesen Wähler zugeschnitten und die Unterschiede zwischen den Parteien verschwinden. Was aber steht dem Wähler dann letztendlich noch zur Wahl? Frau oder Mann? Arizona oder New York? Und, um bei diesem Modell zu bleiben, zwei der potentiellen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der USA, Senator McCain and Senator Clinton, nähern sich von entgegengesetzten Seiten dem selben Punkt an, um eben dort die Wahl zu gewinnen. McCain befindet sich in Daueropposition zu seinem Präsidenten und Parteifreund Bush, während Clinton vor einiger Zeit in Kooperation mit Newt Gingrich agierte (das ist in etwa so, als ob Joschka Fischer mit Franz Josef Strauß eine Initiative gestartet hätte um seine Chancen auf das Kanzleramt zu erhöhen).

Was mich an Haffners Buch zusätzlich stört ist die absolute Verdammung der Grünen, welche dieser vornimmt. Sicherlich war die Entwicklung dieser - damals - neuen Partei so nicht vorherzusehen, aber Haffner prinzipiell verdammt die Etablierung neuer Parteien im allgemeinen, bevor er im besonderen die Grünen auseinander nimmt - vor allem aufgrund ihrer Fixierung auf nur einen Programmpunkt und ihrem nur auf die Oppositionsarbeit ausgerichteten Streben - seine Kritikpunkt besitzen nicht nur aus heutiger Sicht keine Validität mehr, ich würde auch seinem Widerstand gegen die Schaffung neuer Parteien im allgemeinen widersprechen.

Einmal davon ausgehend, daß ein Zweiparteiensystem nicht das optimale ist, denke ich, daß neue Partikularinteressen (Umwelt (80er), erhöhte soziale Schieflage und Arbeitslosigkeit (heute)), welche in den großen Volksparteien ungenügend vertreten sind, nicht nur das Recht sondern sogar die Pflicht besitzen sich in Parteien zu organisieren und im Akkord mit den anderen Interessenvertretungen (also der FDP zB) bzw den beiden Volksparteien zu regieren.

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