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Monday, June 19, 2006

Rollin' Stone

Muddy Waters - Rollin' Stone

This guy in a way sums up exactly the reason why I cannot take part in watching football with a massive amount of Germans cheering on their team. I hate and despise this whole thing of becoming just a part of the crowd, a faceless, nameless entity. It scares me how people lose every rationale and reason they had before. This in a way sucks as I am simply not able to enjoy certain things with other people (like lying in the arms of some random stranger just because Neuville just scored), but one, it is not like I have choice with what I feel here and two, why would anyone be part of a pure mass of people anyway? Not only does one lose ones own identity, it also easily leads to acting without using ones brain before. Finally, watching a group of people from the sidelines with an ironically curled eye-brow is way more fun anyway.

aus der taz:
Die Patriotismusdebatte langweilt. Es geht auch nicht nur um Party. Es geht darum, in der Masse Gleichheit zu erfahren. Meint Frank Lübberding

Kaum ist WM und fährt halb Deutschland mit einem Fahnenständer Schwarzrotgold durch die Gegend, sind wieder die Berufsabwiegler unterwegs. Dieses Nationalgefühl sei entweder gesund oder unerheblich, aber auf jeden Fall ungefährlich. Diesen Eindruck kann man haben. Nun ist es tatsächlich unsinnig, sogleich das Gespenst des Nationalismus oder gar der Nazis an die Wand zu malen. Vor allem weil die Neonazis schon längst aus der deutschen Volksgemeinschaft Fußball-WM ausgeschlossen worden sind. Sie stören offensichtlich das gesunde Volksempfinden.

Tatsächlich sind diese Analysen um Patriotismus oder Nationalgefühl so banal wie überflüssig. Sie erklären nichts. Es ist die ewig gleiche Debatte, die zu jeder Fußball WM seit dem Jahr 1990 aufgewärmt wird. In Wirklichkeit geht es um ein ansonsten heute verfemtes Bedürfnis, das seinen Ausdruck sucht. In dem einzigen Rahmen, den diese Gesellschaft noch zur Verfügung stellt. Es geht um Gleichheit.

"Innerhalb der Masse herrscht Gleichheit. Sie ist absolut und indiskutabel und wird von der Masse nie in Frage gestellt. Sie ist von so fundamentaler Wichtigkeit, dass man den Zustand der Masse geradezu als einen Zustand absoluter Gleichheit definieren könnte. Ein Kopf ist ein Kopf, ein Arm ist ein Arm, auf Unterschiede zwischen ihnen kommt es nicht an. Um diese Gleichheit willen wird man zur Masse. Wer immer davon ablenken könnte, wird übersehen. Alle Forderungen nach Gerechtigkeit, alle Gleichheitstheorien beziehen ihre Energie letzten Endes aus diesem Gleichheitserlebnis, das jeder auf seine Weise von der Masse her kennt."

So beschrieb Elias Canetti in "Masse und Macht" Gleichheit als Kriterium für die Bildung von Massen. Zu so einer Masse scheint Deutschland momentan zu werden. Am eindrucksvollsten passiert diese Massenbildung bei den Veranstaltungen, wo sich die Menschen zum öffentlichen Fernsehen treffen. Es scheint sogar völlig gleichgültig zu sein, ob man das Spiel live im Stadion oder an Public-Viewing-Orten schaut. Die Stimmung ist identisch.

Man begibt sich in Uniform und in Kriegsbemalung dort hin. Man legt Wert darauf, dass alle Unterschiede verschwinden. Dabei ist die Identifikation mit der Mannschaft oder mit dem Staat, für den diese Mannschaft antritt, gar nicht das Entscheidende. In Wirklichkeit fühlt man sich seinem Nachbarn verbunden. Dem Menschen, der rein zufällig an diesen Orten neben dir steht. Wenigstens für 90 Minuten.

Damit findet hier etwas statt, das der herrschenden Ideologie komplett widerspricht. Hier ist nicht mehr von Eigenverantwortung die Rede. Oder von der Individualität des Einzelnen - in der Masse spielt sie keine Rolle. Genauso wenig wie die üblichen Distinktionsmerkmale dieser Gesellschaft: sozialer Status, Einkommen, Bildungsstand. In einer Gesellschaft, die ansonsten Ungleichheit propagiert und durchsetzt, ist dieses offenkundige Bedürfnis nach Gleichheit in der Masse keine Petitesse. Das Nationalgefühl ist dafür nur ein Transportmittel - und wird mit dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft - oder auch dem Titelgewinn - wie ein Spuk verschwinden. Massen zerfallen, wenn das Ziel erreicht oder verfehlt worden ist. Insofern ist die Lebensdauer dieser Masse begrenzt.

Man sollte dieses Phänomen aber auch nicht gleich als Party oder Event in die üblichen Raster sperren, wie es derzeit praktiziert wird. Auch ist die Kommerzialisierung durch die Fifa oder der Medienwahn um die WM keineswegs die Ursache dieses Phänomens. Die Fifa kann nur die Tatsache zu Geld machen, dass der Fußball zurzeit die einzige Sache der Welt ist, die ganze Nationen in Canettis Massen verwandeln kann.

Die Medien lösen den Wahn auch nicht aus - sie greifen ihn nur auf. Aus einer Hockey-WM wird sich kein Masse bilden lassen - so sehr sich die Medien auch darum bemühten.

Offenkundig ist diesem Phänomen auch nicht mit den üblichen Debatten um Patriotismus und Nationalismus beizukommen. Die sind zurzeit wirklich nur langweilig - sowohl im Alarmismus, der allerdings kaum stattfindet, als auch in der Abwiegelei. Wenn man Canetti richtig liest, hat das Ganze sogar eine mythische Dimension.

Bei den öffentlichen Veranstaltungen wird die jeweilige Mannschaft bekanntlich auch angefeuert, obwohl die Chöre von den Spielern selbstredend nicht gehört werden können. Das erinnert an eine Anekdote aus Canettis Buch:

"Mirary heißt auf Madagaskar ein alter Tanz der Frauen, der nur im Augenblick des Kampfes getanzt werden darf. Wenn eine Schlacht angekündigt war, wurden die Frauen durch Boten verständigt. Dann lösten sie ihr Haar und stellten auf diese Weise eine Verbindung mit den Männern her. Als die Deutschen im Jahr 1914 auf Paris marschierten, wurde zum Schutz der französischen Soldaten von den Frauen in Tananariva das Mirary getanzt. Es scheint trotz der großen Entfernung gewirkt zu haben."

Die Masse muss Canetti gelesen haben. Sie ist in einem tranceähnlichen Zustand. Sie glaubt an ihre magischen Kräfte. Selbst im Angesicht der deutschen Abwehr.

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