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Wednesday, December 30, 2009

Erzwungener Verrat

Nach welchen moralischen Maßstäben kann man diejenigen verurteilen, welche unter unmöglichen Umständen nicht ihr eigenes Leben für andere opfern wollten? Kann man aus heutiger Sicht diese überhaupt richten? Und, immer wieder, wie hätte man denn selber agiert?

Doris Tausendfreunds Dissertation (Erzwungener Verrat. Jüdische 'Greifer' im Dienst der Gestapo 1943-1945) geht diesen Fragen nicht auf den Grund. Will es ja nicht tun, auch wenn das Verständnis der Autorin für die Zwangslage ihrer Subjekte klar wird. Tausendfreund erklärt das perfide System der Gestapo, welche jüdische Fahnder zur Aufspürung der sogenannten U-Boote (Juden 'illegal' in Berlin verblieben) einsetzte. Vergleichbar vielleicht mit den Kapos der KZs, erlaubten diese Fahnder (und Ordner) den Abtransport tausender Juden bei einem minimalen personellen Aufwand der Gestapo. Die Autorin betont den Unterschied zwischen Ordnern und Fahndern. Erstere befolgten direkte Befehle und holten z. B. Juden in ihren Wohnungen ab. Letztere waren eigenverantwortlich für die Suche nach untergetauchten Juden zuständig und einige von ihnen entwickelten sogar ein perfides Interesse auf der Jagd und an ihren Möglichkeiten sich hierdurch auch persönlich zu bereichern.

Schätzungen zufolge verweigerten 5000 Juden in Berlin sich ihrem Abtransport und riskierten das Leben als U-Boote. 1400 von ihnen überlebten. Diese U-Boote waren auf konstante Hilfe von allen Seiten angewiesen, sie hatten bald wenig Geld übrig, hatten Schwierigkeiten Obdach zu finden und sahen sich zusätzlich der normalen Problematik des De Facto-Obdachlosen, ständiger Verfolgung ausgesetzt. Diese Fahnder waren zum großen Teil vorher in Kontakt mit vielen Juden gekommen (einer hatte so in der Kleiderausgabe gearbeitet), viele hatten bereits vorher versucht im Untergrund zu entkommen und kannten die Tricks und Aufenthaltsorte ihrer Glaubens- und (so traurig es klingt) Leidensgenossen. Sie waren besser qualifiziert und erfolgreicher als die Gestapo in dem was sie taten. Absolute Zahlen sind unmöglich zu berechnen, aber die am längsten tätigen Fahnder waren für das Aufspüren und Denunzieren von hunderten von Juden verantwortlich. Sie warteten auf großen Plätzen und an Umsteigebahnhöfen auf alte Schulkameraden und andere bekannte Gesichter, erkundeten Bars und Cafés, unterhielten sich sympathisierend mit gefangenen Juden um an Informationen über ihre Familien zu gelangen.

Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, Verallgemeinerungen über diese Greifer zu treffen. Sie kamen aus allen sozialen Schichten, waren Kleinkrimminelle, Doktoren, Du und ich. Die bekannteste von Ihnen Stella Kübler-Isaaksohn, das blonde Gift, verriet wohl an die hundert Juden. Sie war selber, zusammen mit ihrem späteren Mann, aus dem Untergrund von einer Bekannten aufgegriffen worden. Anfangs wollte sie ihre Eltern schützen, sie wurde geschlagen und gequält, später arbeitete sie weiter auch nachdem ihre Eltern bereits deportiert worden waren. Doch hörte sie bereits vor Kriegsende mit der Suche auf (ob aus Selbstinteresse oder Reue bleibt offen) und zahlte mit dem höchsten in West-Berlin gefällten Urteil gegen einen Fahnder (10 Jahre) und dem Haß ihrer Tochter in Israel, welche sich wohl bis zu ihrem Selbstmord 1994 weigerte mit ihr wieder Kontakt aufzunehmen. Ihr Ehemann, Rolf Isaaksohn, weniger berühmt (weil keine Frau? weil nicht schön und blond?), aber um so effizienter, grausamer und erpressender, flüchtete sich 1944 Richtung Kiel mit 40.000 RM und war nie wieder gesehen oder gehört. Allgemein läßt sich sagen, daß die länger Dienenden in den meisten Fällen auch ein größeres kriminelles Eigeninteresse entwickelten und sich zur bezahlten Hilfe ihrer Opfer bereit erklärten oder sie nach Verhaftung auch noch beraubten ohne dies ihren Gestapo-Vorgesetzten gegenüber einzugestehen. Die Gestapo wiederum ließ sich natürlich (?) nicht bestechen (bzw anders ausgedrückt, ignorierte gegebene Versprechen) und deportierte auch ihre besten Fahnder.

Einige Greifer scheinen einfach zu verurteilen, die Isaaksohns scheinen ein solcher Fall. Ruth Danziger soll wiederholt versucht haben die Gestapo zu ihrer Tante zu führen. Helmuth Stecher, NSDAP-Mitglied seit 1930, in der SS bis zu seinem Ausschluß aus "charakterlichen Gründen" (!), schließlich 1943 enttarnt und aus der Wehrmacht ausgeschlossen. Auch er überlebte, als Vertrauter des Leiter des Judenreferates der Gestapo (Walter Dobberke), sein Spur verliert sich in München 1957.

Diesen bösen (schlechten, kann man das so sagen?) müssen andere gegenüber gestellt werden. Günther Abrahamsohn, welcher wiederholt Menschen entkommen ließ, bzw ihnen sogar aktive Hilfe gewährte. Ist es überraschend, daß diese Fälle sich je näher das Ende des Krieges rückte vermehrten? Ingeborg R., welche sich zur Zusammenarbeit erklärte, auch (angeblich unbeabsichtigt) einen Lebensmittelkartenhändler verriet und durch ihn mehrere seiner Kunden, aber die erste Möglichkeit zur Flucht nutzte und mit ihrem späteren Mann "bis Kriegsende auf Fahrrädern durch Deutschland fuhr." (Was für unglaubliche Geschichten sich hinter diesen lapidaren Sätzen verstecken müssen.)

Im Allgemeinen läßt sich sagen, daß alle Fahnder zeitweise anderen Juden halfen, manche für Geld, manche aus Opportunismus, manche mit Rücksicht auf die Nachkriegszeit, manche aus Überzeugung. Wer kann heute schon noch erkennen, wer wann wen warum laufen ließ? Das Leben ist leider nicht so klar definiert wie man es manchmal gerne hätte.

Mehr als die Hälfte der Greifer überlebten (in Bezug auf Stella muß man sich fragen, gerade in Bezug auf ihren Selbstmord, ihre 10 Jahre Haft in der SBZ und ihrem Verhältnis zu ihrer Tochter, was das hieß: Leben), was natürlich im Vergleich zur obengenannten Quote (1400/5000=0,28%) sehr viel ist. Zehn wurden deportiert, einer erschoss sich und seine Frau am Abend vor der Deportation. Ruth Danziger soll von überlebenden Juden 1945 in Berlin ermordet worden sein (Stella wurde erwiesenermaßen desöfteren körperlich angegriffen, die Gruppe 'Aufbau und Frieden' ließ bereits während des Krieges den Fahndern Todesurteile zukommen, dies scheint also durchaus möglich). Ein Fahnder soll auch bereits im Zug Richtung Theresienstadt von seinen Mitdeportierten (und vormaligen Opfern) erschlagen worden sein. Die restlichen 17 mußten sich zum großen Teil vor Gericht stellen (SBZ-Gerichten, dem Westberliner Amtsgericht, sogenannte jüdische Ehrengerichte). Einige wurde in der DDR hingerichtet, einige bekamen in Schauprozessen lange Strafen aufgebrummt (darunter auch einige Ordner) als Teil der gegen die BRD gerichtete Propaganda der exemplarische Entanzifizierung der DDR.

Was bleibt? Wie immer die mangelnde Aufklärung der BRD-Justiz. Kein einziger der ehemaligen Gestapo-Vorgesetzten wurde für das verurteilt zu was diese Opfer zu Tätern zu werden gezwungen worden waren. Walter Dobberke verstarb in sowjetischer Haft direkt nach Kriegsende. Stella wurde ein Mythos mit eigenem Buch, Film und Wikipedia-Seite.

Als Schlussnote, war ich geschockt von der legalistischen Art der Gestapo, der Nazis, der Deutschen (nein, denn wie Glaser schon meinte, es gibt keine Universalschuld, auch wenn ich in diesem Fall nicht sicher bin, ob er sich nicht irrt und die Universalschuld vielmehr einige, wenige Ausnahmen enthält) auch noch im absoluten Chaos des Krieges und angesichts ihren abartigen Verbrechen. So leitete die Gestapo 1942 ein Korruptionsverfahren gegen einige Beamte ihres Judenreferates ein, da diese sich unrechtmäßig an jüdischem Eigentum bereichert hätten. Desweiteren wurden Juden nach ihrer Deportation enteignet aufgrund ihres "gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland" "unter Umständen, die erkennen lassen, daß sie dort nicht nur vorrübergehend" seien. Unter den damaligen Grenzen wurde das heutige Polen juristisch dafür extra als Ausland eingestuft. Muß man da eigentlich noch irgendetwas dazu sagen?

1 comment:

Anonymous said...

Danke sehr. Der Artikel ist recht interessant und wird gut umschrieben. Sehr informativer blog.