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Monday, October 11, 2010

Das christlich-jüdische Erbe

Es ist schon ein Kreuz mit der Zeit, da leiste ich mir ein relativ teurer Auslandsabonnement um auch in Frankreich in Papierform auf dem Laufenden zu bleiben, was in Deutschland so an Wichtigem passiert, und dann muß ich mich über die ständige Beweihräucherung Helmut Schmidts oder andere Artikel ärgern. Auch dieses Wochenende wieder.

Ulrich Greiner kommentiert Bundespräsident Wulffs Versuch den Islam als Bestandteil Deutschlands zu bezeichnen. Wo kommen wir denn da auch hin! Nein, so platt ist Herr Greiner natürlich nicht, aber irgendwie sagen tut er das schon und seine Argumente hierfür sind so löchrig wie immer bei diesen nationalgläubigen Propheten (ok, jetzt werde ich polemisch, tut mir leid, aber nationalgläubig muß man ja schon sein, um einen solchen Artikel zu schreiben).

Was also meinte Wulff?

"Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland, das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland, aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Der Atheismus sicherlich auch, aber den erwähnt er nicht. Was wäre nun sonst daran auszusetzen? Greiner meint, "er verwischt auf ungute Weise die Unterschiede. Das würde, wenn er recht hätte, darauf hinauslaufen, dass wir nicht mehr in gewohnter Weise von der christlich-jüdischen Kultur, aus deren langer Tradition wir kommen, sprechen dürften." Da ist die FR schon weiter:

Die aktuellen Ausflüge von CDU-Politikern in die deutsche Kultur- und Religionsgeschichte betrachtet der Frankfurter Erziehungswissenschaftler und frühere Direktor des Fritz Bauer Instituts, Micha Brumlik, als wohlfeile Rhetorik. Man habe sich hierzulande aus Gründen der politischen Korrektheit angewöhnt, von christlich-jüdischer Tradition zu sprechen. Dabei werde nur allzu leicht übersehen, dass die Juden in Europa über lange Zeiten hinweg sehr unter dem Christentum gelitten haben. „Wenn man fragt, ob es eine deutsch-jüdische Symbiose gegeben habe, so muss die Antwort lauten: Nein“, sagte Brumlik der Frankfurter Rundschau.

[...]

Die Bezugnahme auf die christlich-jüdische Tradition stellt für Brumlik eine euphemistische Verkürzung der Geschichte dar. Eine hegemoniale christliche Kultur habe es in Deutschland nicht gegeben.


Greiner versucht dann hanebüchener Weise einen Zusammenhang zwischen Gewaltenteilung und Christentum aufzubauen:
Die[...] Gewaltenteilung geht zurück auf das Alte Testament, in dem die Propheten als Sprecher Gottes den weltlichen jüdischen Herrschern oftmals in den Arm fallen. Sie gipfelt in dem Satz von Jesus: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Sie findet ihre Ausarbeitung bei Augustinus und seiner Lehre von den zwei Reichen. Es war der Augustinermönch Luther, der diesen Gedanken gegen eine Kirche stark machte, die ihn vergessen und die politische Gewalt usurpiert hatte.

Also, die Kirche hatte die Gewaltenteilung zwar ca 1,500 Jahre ignoriert, aber es ist natürlich trotzdem eine urchristliche Idee. Alles klar.

Und weiter im Text:
Und wer im Grundgesetz [...]liest, der findet zwei Sätze, die unser Selbstverständnis ebenso lapidar wie grandios enthalten: »Die Würde des Menschen ist unantastbar« (Artikel 1.1) und »Die Freiheit der Person ist unverletzlich« (2.2). Sie sind nicht denkbar ohne jenes Verständnis von der uneingeschränkten Verantwortlichkeit der Person, das seine Wurzeln in der Philosophie der Antike hat und schließlich in der Aufklärung zu neuer Entfaltung kam.

War denn die Antike jüdisch oder christlich? Ich bin mir da gerade nicht mehr wirklich sicher.

Was soll man da noch groß dazu sagen? (Fast) Alles was die westliche oder deutsche Kultur heutzutage ausmacht wurde doch letzten Endes gegen das Christentum errungen - die Gleichberechtigung der Frauen, der Schutz von Minderheiten, die sexuelle Freiheit des Einzelnen, der Individualismus (was mach auch immer davon halten mag). Einige moralische Grundsätze gibt es vielleicht noch, aber ob die nicht vielmehr universal sind und in anderen Religionen im gleichen Maße erhalten sind, muß mir auch erst mal noch jemand beweisen.

Das Ihr nicht wollt, daß der Islam Teil Deutschlands sei mag ja legitim sein (also für Euch, nicht für mich), aber dann laßt Euch doch bitte ein paar vernünftigere Argumente einfallen als diese ewige Leierei von den angeblich so prominenten jüdisch-christlichen Traditionen.

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