Maxim Gorki scheint, so weit ich das nach der oberflächlichen Lektüre zweier Artikel verstehe, oft als treuer kommunistischer Schreiber kritisiert werden. Er gilt als ein Schriftsteller der den sozialistischen Realismus prägten sich aber durch seine ideologische Treue intellektuell selber im Weg stand. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieser Meinung, nachdem ich Die Mutter gerade beendet habe, beistimmen kann.
Gorki ezählt in diesem Roman die Geschichte einer älteren Frau, welche in ihrem ganzen Leben von ihrem Mann und indirekt vom industrialisierten-kapitalistischen System mißhandelt wurde. Nach dem Tod ihres Mannes, wird ihr Sohn zu einem führenden Sozialisten und reißt in seinem Bugschwall seine Mutter mit. Sie wird glücklicher, gebildeter, lernt eine neue Umgebung kennen und schätzen, sie verändert von Grund auf ihr Leben am Ende desselben.
Diesen Weg zeichnet Gorki für uns nach mit all seinen Nebenfiguren, Revolutionären und solchen die es erst noch werden wollen. Sicherlich sind seine Charaktere holzschnittartig, sein Menschenbild naiv. Kaum eine Romanfigur entwickelt eine Persönlichkeit und mit wenigen, kaum genauer geschilderten, Ausnahmen sind alle Menschen gut und dem Sozialismus über aufgeschlossen. Das, was man ihnen noch vorwerfen könnte sind Unwissen und Feigheit, aber in beiden Fällen genügt ein kleiner Ruck und der Mensch weiß, wo er stehen muß.
Aber Die Mutter ist mehr als dieses sozialistische Wandgemälde, er beschreibt auch eine historische Wahrheit oder eher historische Wahrheiten. Einerseits das Leben Leiden der arbeitenden bzw Landbevölkerung im Russlan des frühen 20. Jahrhunderts, welches in seiner Kastenhaftigkeit schreckenserregend ist. Andererseits die Hoffnung und das Vertrauen, welches viele Menschen angesichts der eben zitierten Umstände in de Sozialismus legten, ihre Überzeugung, daß dieser zu einer utopisch gerechten und egalitären Gesellschaft führen würde. Nein, natürlich irrten sie sich, aber wer kann ihnen ihren Utopismus verdenken angesichts der Staatsgewalt gegenüber simpler und friedlich vorgetragenen Forderungen? Das Porträt, welches Gorki von diesen Verhältnissen zeichnet, ist überzeugend und stimmig, so deprimierend es auch sein mag.
Letztlich bleibt anzumerken, daß einige Anmerkungen verschiedener Charaktere durchaus auf die möglichen Konsequenzen einer Revolution hinweisen. Auch wenn das Ausmaß des später folgenden Blutbades sowohl Gorki als auch seine Romanfiguren geschockt hätte, zeigen sie trotzdem, daß sie sich der Gefahr bzw der Möglichkeit eines solchen Ausgangs durchaus bewusst sind. Nur glauben sie ja einerseits an die darauf folgende Utopie und andererseits bleibt festzustellen, daß si ja kaum andere Möglichkeiten ergreifen können angesichts ihrer Unterdrückung.
Ich habe selten einen Roman gelesen, welcher in diesem Maße von der Geschichte eingeholt wurde, welcher in diesem Maße desavouiert wurde. Aus heutiger Sicht sind viele der Annahmen und Hoffnungen der Charaktere abwegig, ja abstrus und grausam, aber Die Mutter ist ein Kind ihrer Zeit. Sie muß in den Maßstäben ihrer Epoche beurteilt werden und wenn man dies berücksichtigt ist es aufschlußreicher, lohnenswerter, ja großer Roman.