Nach langen Jahren wieder ein mal in Berlin wohnend hatte ich mir Alfred Döblins Berlin, Alexanderplatz bei meinem Vater aus dem Regal geholt, weil es als DER Klassiker der Berlinliteratur passend schien. Und was für eine Entdeckung! Döblins erratische Schreibweise, sein scheinbar planloses Irren zwischen faktischen Beschreibungen, Gefühlen und Dialogen erinnerte mich an Joyce, Faulkner, Sartre und Kateb Yacine. Schriftsteller also die ich vor (fast) allen anderen schätze.
Berlin, Alexanderplatz erzählt von einem der aus dem Gefängnis entlassen wird und nun versuchen will sein Leben auf der gerade Bahn im proletarischen Berliner Osten fortzusetzen. Döblin betreibt im Prinzip einerseits eine Art Milieustudie sicherlich auf seinen Erfahrungen als Kassenarzt in Lichtenberg aufbauend, er beschreibt aber natürlich andererseits ein Individuum, einen Anti-Helden namens Franz Biberkopf.
Das Buch ist aber nicht nur als Roman als solcher faszinierend, sondern auch als historisches Porträt einer Zeit (1928), die heutzutage fast nur noch vom Ende her (das kommende Dritte Reich) gedacht und deswegen als solche selten dargestellt wird. Oder wenn dann nur als Mythos. Hier sind die Nazis eben keine massenmörderischen Schwerverbrecher, sondern eine politische Gruppierung unter anderen, welche auch ein (1941 zum Katholizismus konvertierter) jüdischer Romanautor als ideologischen Zufluchtsort seines durch die Revolution 1918/19 von der Linken enttäuschten Helden zeichnen kann. Desselben Helden der ein - oberflächliches - freundschaftliches Verhältnis zu zwei - nun wirklich nicht assimilierten - Ostjuden unterhält und zeitweise auch eine Schwulenzeitung verkauft. Grenzen, welche aus heutiger Sich scharf gezogen werden, existierten damals nicht unbedingt in gleichem Maße.
Aber Biberkopf ist natürlich vor allem unpolitisch - ja passiv und naiv - und diese Zeitepoche mit vor allem ihrer wirtschaftlichen Problematik spiegelt sich zwar in seinem Leben wieder, ist aber nur der Anstoß bzw. der Hintergrund für sein persönliches Schicksal. Wirklich ein Muss für jeden Leser an moderner Literatur und Berlin interessiert.
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