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Sunday, October 30, 2011

Opa war kein Nazi

Selten hatte ich das Gefühl, daß ein wissenschaftliches Buch mich auf einer solch persönlichen Ebene ansprach wie Opa war kein Nazi - Nationalisozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis von Harald Welzer, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall. Die Autoren basieren sich für ihre Analyse auf 40 qualitative Studien geschichtlicher Familiendiskurse bzw der in Einzelgesprächen dargelegten Wahrnehmung der im Familienkreis behandelten Geschichten und Geschichte. 

Die Autoren zeigen in ihrem Werk auf wie Geschichte im Familienkreis einerseits gemeinsam kreiert wird, daß Familienmitglieder unterschiedlicher Generationen sich also durch Konzentration auf unterschiedliche Elemente auf eine allgemein akzeptierte Version einigen und hierbei inhärente unlogische ja absurde Aspekte ignorieren. 

Während ich dieses sich Geschichte zurechtbiegend (-lügend?) noch von einer elitär-intellektuellen Stanze heraus herablassend amüsant befand, blieb mir diese selbstimagebewahrende Perspektive im weiteren leider verwehrt. Vielmehr schockierte mich die - fast - absolute Deckungsgleichheit meiner selbst erfahrenen Familiengeschichten mit der hier dargegeben allgemein gültigen durchschnittlichen Geschichte.

In den von den Autoren betrachteten Studien konzentrieren sich die Erinnerungen der deutschen Familien auf Leidens- und Heldensgeschichten. Die ersteren beziehen sich hierbei wohl vor allem auf die Heimat und werden wohl auch deswegen vor allem von weiblicher Seite weitergegeben. Konkret betrachtet was ist es, daß ich von meinen beiden Großmüttern über ihre Kriegserfahrung erzählt bekommen habe? Die Luftangriffe, die Nächte im Keller, die mangelnde Versorgung bzw das seltene Erlebnis bei einem Bauern mehr oder etwas besonderes zu Essen gehabt zu haben. 

In die Heldensgeschichten übergehend wird der oder die fremde Zwangsarbeiter(in), welche(r) beim gleichen Bauern tätig war, als zwar nicht am gleichen Tisch sitzend aber doch im durch eine offene Tür verbundenen Flur speisend dargestellt. Strengstens verboten aber trotzdem gewagt! Schließlich waren essenziell alle relevanten erwähnten Familienmitglieder, weitere Verwandten und Nachbarn gute Menschen, welche sich ähnliche wie Juden, Kommunisten, Schwule und Ausländer vor den - wenigen - 150% Nazis zu fürchten hatten. Die fast schon lächerliche Übertreibung, welche aus einem Akt der Ausgrenzung (der Fremdarbeiter isst im Flur) einen Akt des Widerstandes macht (es war schließlich verboten, sie wagten es trotzdem, impliziert wird, daß dies unter Einsatz ihres Lebens stattfand) wird im Familienkreis (von mir!) kritiklos hingenommen ja positiv eingestuft. Die Tatsache, daß die Zeitzeugin (meine Oma) ohne jeden Kde ommentar der Wertung über den zur Arbeit gezwungenen Ausländer hinweg geht, ja diesen kaum als menschliches Wesen auf dem gleichen Niveau der anderen handelnden Charaktere wahrnimmt, wird ignoriert.

Soldatische Heldengeschichten gehen in ähnliche Richtungen. Einer meiner Großväter wurde mit samt seines Bootes vor der griechischen Küste versenkt und verbrachte mehr als sieben Stunden im Wasser. Er mußte dann nach dem Zusammenbruch der Besatzungsarmee sich - mehr oder weniger alleine - durch Jugoslawien nach Deutschland zurück durchschlagen - gegen Partisanen, Hunger und die zu Fuß zu bewältigende Strecke als solche. Mein anderer Großvater erzählte oft wie er zusammen mit einem Kameraden an der Ostfront von seiner Einheit abgetrennt wurde und sich auf einmal von sowjetischen Truppen umgeben wieder fand. Sein fanatischer Kamerad wollte in einer Art heldenhaften Kamikazeattacke diese nichtsahnenden Soldaten angreifen. Mein Opa - als voix de raison - stoppte ihn in letzter Sekunde und die beiden konnten sich so lange versteckt halten bis die sie umgebende Truppe wieder abgezogen war.

Eindrucksvolle Helden- und Leidensgeschichten alle miteinander und wie so viele andere den Großvater oft den fanatischen Nazis gegenüber sich abgrenzend zeigend. Doch einer meiner Großväter war fast zwei Jahre in Piräus stationiert, der andere war mindestens ein Jahr in der Etappe irgendwo in der (weiß-?)russischen Steppe. Was machten sie dort? Der Partisanenkrieg in Griechenland war grausam, insgesamt wurden etwa 70.000 bis 80.000 Griechen [...] getötet, rund 1.700 griechische Dörfer zerstört (link). Hinter der Front im Osten waren die Einsatzgruppen tätig, es galt der Kommissarbefehl, es starben mehr als die Hälfte der sowjetischen Kriegsgefangenen. Warum hörte ich also nur Geschichten mit ihnen als Opfern? Sie waren schließlich auf der Täterseite aller Wahrscheinlichkeit nach - so schwierig es auch mir das einzugestehen - selber Täter.

Auf zum nächsten Punkt der intellektuellen Familienselbsttäuschung also. Gewisse Deutungsmuster werden universal in Familien als gegeben vorausgesetzt und als solche in Geschichten über die Geschichte nicht thematisiert. Zu diesen gehören unter anderem die schlechten Russen, die ihnen entgegensetzten guten Amerikaner sowie die reichen Juden, welche auf einmal verschwunden waren ohne, daß man das groß mitbekommen hätte. Ich denke jeder Deutsche wird in diese Muster passende Erklärungen kennen, wobei diese Pauschalaussagen leider selten nur auch nur ansatzweise belegt werden können. Es ist normalerweise nicht die von einem russischen Soldaten vergewaltigte Frau, welche von den Gräueltaten des Russen erzählt, sondern vielmehr der ehemalige deutsche Soldat dessen Rolle in der Sowjetunion oder anderswo nur selten beleuchtet wird der widerstands- und kritiklos im Familienkreis diese Wahrheiten verkündigt.

Diese Buchkritik ist bereits jetzt viel zu lang und ich werde sie hier beenden. Ich kann diesen Text nur jedem geschichtsbewußten Deutschen empfehlen, wobei ich ihn davor warnen muß, daß er danach - vor allem - seine Großväter in einem anderen Licht wird sehen müssen. Zu viele der ihm (mir) bekannten persönlichen Geschichten meiner Opas gleichen sich bis aufs Haar der in diesem Buch dargelegten stereotypen Entschuldigungsmechansismen, Leidenserlebnissen und verarbeiteten filmischen Erzeugnissen. Und daß ohne - in beiden Fällen - die Leerstellen eben dieser Geschichten anzusprechen. Ich wünschte ich hätte noch ein mal die Möglichkeit dies zu tun.

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