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Saturday, July 31, 2010

Eichmann in Jerusalem

Alleine bei meinen Eltern zu Hause letzten Sonntag entschied ich mich dafür den Abend vorm Fernseher zu verbringen. Da ich sonst keinen Fernseher besitze und dementsprechend selten vor einem solchen sitze, ist dies immer eine Art soziologische Erfahrung für mich. Letzten Sonntag guckte ich also erst einen vergnüglichen Tatort, gefolgt von einer verstörenden RTL-Berichterstattung über das Duisburger Love Parade Unglück, schließlich blieb ich an einem dieser modernen Dokumentarfilme, welche viel mit nachgestellten und neugefilmten jedoch angeblich originalgetreuen Szenen arbeiten, hängen. In diesem Fall ging es um Eichmann und seine Entführung - mangels eines besseren, weniger verurteilenden, Wortes - nach Israel. Die Doku-Soap, ihrer Natur entsprechend, konzentrierte sich natürlich auf die aufregende Jagd nach dieser Personifizierung des Bösen, auf den Beitrag der guten - beides übrigens Juden - Deutschen, Fritz Bauer und Lothar Hermann, sowie den Beitrag von Hermanns Tochter, welche ein Verhältnis mit Eichmanns ältestem Sohn hatte und zur Identifizierung des Vaters entscheidend beitrug.

Lange Rede, kurzer Sinn. Ich hatte seit langem Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem lesen wollen und als ich zwei Tage später in die USA zurückflog nahm ich es mir aus meines Vaters Bücherregal. Im Flugzeug, auf dem Flughafen in New York, Hotel in Memphis und schließlich am Mittwochabend in einem Café in Austin verschlang ich das Buch. Ich habe lange kein Sachbuch mehr gelesen, welches mich in diesem Maße beanspruchte, so sehr interessierte ja faszinierte.

Die Banalität des Bösen. Eichmann, der mittelmäßig begabte Bürokrat, welcher nicht einmal mehr als fanatisch antisemitisch erscheint, sondern einfach, wie er später auch zu seiner Verteidigung erklärte, durch seinen - blinden? - Gehorsam ins Verderben geführt wird. Eichmann, der zu denken scheint, seine Arbeit hätte daraus bestanden in Kooperation mit seinen Opfern für einen geregelten Ablauf der doch notwendigen, da angeordneten, Deportation zu sorgen.

Arendt stellte sich in Eichmann in Jerusalem in klarer Opposition zu den israelischen Behörden einerseits, zu der Wahrnehmung der ermordeten Juden bzw eher noch der Judenräte als reine Opfer andererseits.
"Während des Verfahrens stellte sich heraus, daß seine Schuld zwar einwandfrei feststand, daß man sich aber von seiner Rolle bei dem Zustande kommen der 'Endlösung' eine phantastisch übertriebene Vorstellung gemacht hatte."

Die israelische Staatsanwaltschaft versuchte letzten Endes zu beweisen, daß Eichmann mehr war als ein ausführender Befehlsempfänger bzw Befehlsweitergeber, Befehlsträger wie die Nazis dies wohl nannten (siehe 279f). Dies konnte ihnen aber schwerlich gelingen, Eichmann war verdammenswürdig genug als das, war er war, aber seine Abwesenheit hätte letztlich einen geringen Unterschied im Ablauf der Shoah zur Folge gehabt.

Das Verstörende am Holocaust war ja eben "die eigentümlich Diffusität [...] unter der sich einzigartige Verbrechen wie die Endlösung vollziehen konnten, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen." Oder, anders ausgedrückt, der Nationalsozialismus als solcher war letzten Endes eine kopflose Bewegung. Hitler war "lediglich eine höchst notwendige Funktion der Bewegung" und die "Diktatur keineswegs von der dämonischen Willenskraft Hitlers geprägt [...], [vielmehr entsprang] die typische Eskalation der Ziele und der Gewaltanwendung aus der inneren Gewalt [...] die Bewegungsstruktur um jeden Preis aufrechtzuerhalten zu müssen."

Desweiteren (ich finde hier das Zitat nicht mehr) sorgte die Konkurrenzhaltung bzw der Wettbewerb der (bzw zwischen den) verschiedenen administrativen Pfeilern des Naziregimes zur grausamen Gründlichkeit der Endlösung, ohne daß einzelne Figuren hierüber notwendigerweise eine entscheidende Kontrolle ausübten. Abschließend war Eichmann auch einfach nichts mehr als ein subalterner Bürokrat, in einem strategisch wichtigen Büro platziert, aber an Relevanz vielen (Himmler, Heydrich und Müller um nur drei zu nennen) nachgeordnet.

Ich maße mir hier nicht an, Arendts Kritik der Judenräte zu bewerten, will diese aber wenigstens kurz kommentieren. Zusammengefasst war Arendt der Meinung, daß der Holocaust in dem Maße in welchem er stattfand nicht möglich gewesen wäre ohne die Kollaboration der Judenräte, welche es den Nazis erlaubten mit einem minimalen Einsatz an Leuten eine maximale Anzahl an Menschen zu ermorden. Sie führt als hierzu einige positive sowie negative Beispiele an, so die Verhandlungen Kasztners mit den Nazis, welche im Prinzip einen geregelten Ablauf der Deportationen aus Ungarn gegen die Rettung einer exklusiven Gruppe von weniger als 2.000 Juden regelten, im Gegensatz zum Widerstand des organisierten Judentums in Dänemark (zugegebenermaßen von der dänischen Regierung sowie der Bevölkerung unterstützt), welche zur Rettung der großen Mehrheit der dänischen Juden führte.

Das zusammenfassende gerade in seiner Allgemeingültigkeit grauenerregende Urteil Arendts dürft wohl in der
"Totalität des moralischen Zusammenbruches [...] den die Nazis in fast allen vor allem auch den höheren Schichten der Gesellschaft in ganz Europa verursacht haben - nicht allein in Deutschland, sondern in fast allen Ländern, nicht allein unter den Verfolgern, sondern auch unter den Verfolgten"

liegen. Arendt beantwortet in dieser Hinsicht auch die Frage nach der französischen Kollaboration (siehe meine Diskussion derselben hier), welche in diesem Sinne keine Ausnahme, sondern die Norm war. Die Ausnahmen waren vielmehr frühe Streiks gegen Deportationen in den Niederlanden sowie die allgemeine Situation in Bulgarien und Dänemark, welche wohl die einzigen positiven nationalen Geschichte im besetzten Europa des Zweiten Weltkrieges aufzuweisen haben.

Als Antwort hierauf gilt es also sich zum "Rebellentum" zu bekennen, "zur ethnisch begründeten Verweigerung des Individuums" (Anton Schmid ist ein von Arendt zitiertes positives Beispiel hier) bzw, für diejenigen, welche diesen Schritt hin zum Widerstand nicht wagen, die "wirkliche innere Emigration", welche ja nur "'Nichtteilnahme' sein [kann], fröstelnd und wie ausgestoßen aus dem eigenen Volk inmitten blindgläubiger, diesen Mann als einen unfehlbaren vergötternden Massen." Die, wie Arendt auch zugab, unmöglich zu beantwortende Frage, welche sich jeder selber stellen muß, ist, ob man die Kraft gehabt hätte, einen dieser beiden Wege zu gehen.

Friday, July 16, 2010

La chanson à Réding

sur l'air de Cadet Rousselle
composée par un inconnu


Le premier jour c'était bien vert (bis)
On eut pour nous beaucoup d'égards (bis)
On nous dit : "Couchez-vous par terre
Vous n'avez rien de mieux à faire"

Refrain: Ah! Ah! Ah quel bonheur
D'être au Gefangenen Lager

Les conditions de notr' séjour (bis)
Furent réglées avec amour (bis)
Dans une baraque bonne pour 60
On va vous y fermer 130

Sur un mirador élégant (bis)
Un Boche surveille par tous les temps (bis)
Comme il est seul, quand il s'entête
Il tire une rafale d'mitraillette

[...]

Dans l'intérêt de notre santé (bis)
On nous a fait d'abord sauter (bis)
Du pain RR, d'la margarine
Ça nous maintient la taille fine

Ajoutez-y un peu de miel (bis)
Cela devient très substantiel (bis)
Et pour varier cette bonne tambouille
Des nouilles au riz, du riz aux nouilles

Le résultat de tout cela (bis)
C'est la nuit qu'on s'en aperçoit (bis)
Un va-et-vient de gens qui passent
C'est parce que tout l'monde à la chiasse...

Radetzkymarsch

Joseph Roths Hiob war einer der wenigen Romane, welchen ich in der Schule las und der nichtsdestotrotz einen bleibenden Eindruck bei mir hinterließ - die anderen? Faust, Kabale und Liebe, vielleicht Thomas Bernhards Alte Meister - insofern war es wohl nur eine Frage der Zeit bis ich wieder etwas von ihm zur Hand nehmen würde. Gerade, da ich dieser Tage deutschsprachiger Exilliteratur verfallen zu sein, war der Radetzkymarsch wohl unabkömmlich. Ich betone deutschsprachig, denn Joseph Roth - auch wenn ich ihn damals im Deutschleistungskurs las - war natürlich Österreicher bzw vielleicht nicht mal mehr das, sondern Bürger und Bewohner des Habsburger Reiches, in Lemberg und Wien studierend, in Brody geboren.

Der Radetzkymarsch also. Der Aufstieg eines jungen Soldaten aus ärmlichen slowenischen Verhältnissen bedingt durch einen reinen Glücksfall, verkrustet bereits mit seinem Sohn, welcher als Baron den Erfolg, aber auch die Starrheit, ja den mangelnden Wandel des Österreichts-Ungarns darstellt - vielleicht durchaus mehr in meinen Augen als in Roths. Sein Enkel letztendlich stirbt im Ersten Weltkrieg sinnlos ohne ein Held zu sein, wenn auch ohne Feigheit und die Barone von Trotta sowie die königliche und kaiserliche Ansammlung von Ländern gehen zu Ende.

Ein nostalgisches, wenn auch kritisches Buch. Roth schafft es nicht, bzw will es wohl auch nicht, sich von seinem Ursprüngen loszulösen, auch wenn er natürlich um das unausweichliche Scheitern seiner Heimat weiß. In einer gewissen - wenn auch sehr entfernten - Weise erinnerte mich das Thema des Romans an Southern gothic literature, ein vollkommen anderer Stil natürlich aber mit ähnlichen inhaltlichen Zügen, sich der Nostalgie einer Vergangenheit gegenüber hingebend, die vielleicht nicht besser war als das, was folgte, und auch nicht grundlos scheiterte, ja versagte, aber deren Dahinscheiden trotzdem bedauert wird. Der Unterschied läge, wie gesagt, in der positiveren Distanz Roths.

"Ein grausamer Wille der Geschichte hat mein altes Vaterland, die österreichisch-ungarische Monarchie, zertrümmert. Ich habe es geliebt, dieses Vaterland, das mir erlaubte, ein Patriot und ein Weltbürger zugleich zu sein, ein Österreicher und ein Deutscher unter allen österreichischen Völkern. Ich habe die Tugenden und die Vorzüge dieses Vaterlands geliebt, und ich liebe heute, da es verstorben und verloren ist, auch noch seine Fehler und Schwächen. Deren hatte es viele. Es hat sie durch seinen Tod gebüßt."


Faszinierend war ich in der nachbereitenden (bzw diesen Blogeintrag vorbereitenden) Lektüre Roths Biographie die abstrakten Parallelen zwischen dem (wohl nicht sehr) 'roten Joseph' und seiner Hauptfamilie (nicht -gestalt). Ein Mann, eine Person (ich will ja hier nicht sexistisch auffallen), seine Möglichkeiten zum Aufstieg in einem Vielvölkerstaat nutzend, als Jude (bzw Slowene), seine Vergangenheit vergessen zu machen und hierdurch in diesem Reich aufzusteigen.

Reich-Ranicki nahm diesen Roman in seinen Kanon der zwanzig besten deutschsprachigen Bücher auf. Dies kann mangels ausreichender Leseerfahrung nicht beurteilen, aber ich kann ihn weiterempfehlen den Radetzkymarsch, keine Frage.