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Wednesday, April 21, 2010

Geschichten aus Sieben Ghettos

Ein weiterer Exilautor, der rasende Reporter Egon Erwin Kisch war mir das erste Mal als linientreuer Parteigenosse gegen den sich emanzipierenden Glaser agitierend bewußt unter die Augen gekommen. Zufälligerweise hatte ich mir kurz vorher eines seiner Bücher gekauft, sonst hätte ich seine Geschichten aus Sieben Ghettos aus reiner Abneigung wohl gar nicht gelesen.

Warum gab es eigentlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert so viele faszinierende intellektuelle Weltreisende? Kisch gehört auch in diese illustre (Neruda, Hemingway, Malraux, Céline...) Gruppe, auch wenn seine Prinzipientreue (oder blinde Kommunismusgläubigkeit) ihn wohl in seinen Reportagen über die Sowjetunion beeinflußten, sowie zersetzende Autoren wie Glaser kritisieren und als deutschsprachiger (und -schreibender) Tscheche die Beneš-Dekrete befürworten ließ. Wer will es ihm verdenken. Unzählig sind diejenigen, welche in dieser Zeit dem Charme der Sowjetunion erlagen und ohne die Umstände dieser Jahre wirklich zu kennen kann ich dieses tragische Fehlurteil nicht bewerten.

Kischs Biographie im Schnelldurchgang also. Aufgewachsen im k.u.k. Prag, Journalist, gilt angeblich als einer Erfinder der literarischen Reportage, Reisender (Australien, China, USA, Europa...), jüdischer Herkunft, spielte eine aktive Rolle im österreichischen Gegenstück zur deutschen Novemberrevolution, in Berlin arbeitend bis von den Nazis 1934 ausgewiesen, amerikanisches und mexikanisches Exil, schließlich sein Tod 1947 in Prag. Dies nur als Hintergrund.

Geschichten aus Sieben Ghettos ist eine Sammlung spannender, faszinierender Kurzgeschichten und Reportagen über jüdisches Leben in Europa im Laufe der Jahrhunderten. Akkurat erscheinede historische Extrakte etwa über die Brüder Fey, welche versuchten während der französischen Revolution Geschäfte zu machen und mit Danton und Chabot unter der Guillotine endeten kontrastieren mit zeitgemäßen Beobachten über (seinerzeit) modernes jüdisches Leben in Paris und Amsterdam. Hinzu kommen Wiedererzählungen jüdischer Moralgeschichten, welche auf diesen sehr typischen osteuropäisch-jüdischen Humor (frei nach Shlomo Sand würde ich behaupten, daß dieser nicht allgemein jüdisch sei) aufbauen, welchen ich einfach toll finde. Schlichtweg ein wirklich empfehlenswertes Büchlein.

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